Kunstwerk des Monats im Januar 2023
08. Januar 2023
Vexierspiele – Raffael, Michelangelo und Zeitgenossen. Zur Werkgenese einer italienischen Handzeichnung aus der Sammlung Uffenbach
Vorgestellt von
Der Vortrag ist Teil des Begleitprogramms zur Ausstellung „Werk|Prozesse. Italienische Handzeichnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts in der Kunstsammlung der Universität Göttingen“, die vom 16. April bis 20. August 2023 zu den regulären Öffnungszeiten der Kunstsammlung besichtigt werden kann.
- Zur Zeichnung "Vertreibung aus dem Paradies" im Sammlungsportal
- Zur Zeichnung "Zwei männliche Rückenakte und Studien verschiedener Gliedmaße" im Sammlungsportal
Die bisher keinem Zeichner zugeschriebene Handzeichnung im Göttinger Besitz blieb von der Forschung mit der Ausnahme Hubert Lochners (2019) unbeachtet. Das beidseitig verwendete Blatt zeigt im Querformat die Nachzeichnung des Fresko mit der „Vertreibung aus dem Paradies“ aus dem zweiten Gewölbe in den Loggien im Vatikan. Die Fresken wurden in der Zusammenarbeit von Raffael und Werkstatt zwischen 1516–1519 ausgeführt.
Die mehrfach revidierten Gebärden des Engels verdeutlichen eine pathognomisch-ikonographische Auseinandersetzung mit dem religiösen Sujet Genesis 3, 24. Die pentimenti (Reuestriche) geben Hinweise auf die Werkgenese. Als Vorlage diente vermutlich eine Kopie eines der ricordi (Erinnerungsstücke), wie sie unter der Leitung Gianfrancesco Pennis nach den disegni finiti (Entwurfszeichnungen) innerhalb der Raffael-Werkstatt entstanden.
Auf der Kehrseite sind im Hochformat „Zwei männliche Rückenakte und Studien verschiedener Gliedmaße“ blattfüllend arrangiert. Vergleichbare Aktstudien finden sich im zeichnerischen Oeuvre Raffaels, Michelangelos und Baccio Bandinellis in Florenz und Rom. Eine direkte Vorlage ist nicht bekannt, vielmehr wurden verschiedene Einzelmotive eklektisch zusammengefügt. Hinzuweisen sind etwa auf die Zeichnung aus der Albertina in Wien mit der Ansicht eines männlichen Rückenaktes von Michelangelo sowie eine uns heute nur noch durch eine Kopie eines Unbekannten nach einer Nachzeichnung Raffaels im Metropolitan Museum of Art in New York vorliegt. Auch in der Graphischen Sammlung im Städel in Frankfurt/Main findet sich eine vergleichbare Studie aus dem Umkreis Michelangelos mit der Darstellung eines linken Beins.
Die Provenienz in den Kunstsammlungen der Universität Göttingen ist durch das Inventar Fiorillos durch die Auflistung der „Vertreibung“ (fol. 12r, Nr. 60) gesichert. Die Ansicht wird noch heute als recto geführt. Wahrscheinlich wurde das Studienblatt zu seiner Zeit als Lehrmaterial verwendet. Die Aktstudien verso werden im Inventar nicht genannt. Möglicherweise war jene damals durch einen säurehaltigen Untersatz verdeckt. Jedoch müssen Vorder- und Rückseite wechselseitig betrachtet und miteinander verglichen werden. Insgesamt führt dies erst zu einer stilistischen Datierung um 1630.
Lisa von der Höh, Göttingen